Alkaloide in Kartoffeln

Wie Supermärkte Lebensmittel verderben

DAS ERSTE brachte in der Sendung PlusMinus einen Bericht darüber, dass gerade Pellkartoffeln giftig, für Kinder sogar tödlich sein können. Kartoffeln enthalten natürliche Schutzstoffe, um sich gegen Fressfeinde und Schädlinge zu schützen. Diese Alkaloide können für den Menschen hochgiftig sein. Sie stecken hochkonzentriert in der Schale, aber zu einem geringen Anteil auch in der Knolle selbst. Vergleichbar mit Strychnin, kommen die Alkaloide (Solanin und Chaconin) in modernen Zuchtsorten glücklicherweise nur eingeschränkt vor.

In Supermärkten allerdings werden Kartoffeln häufig im Licht angeboten. Das ist gefährlich, denn durch Lichteinfluss bilden sich die Alkaloide von Neuem und können so einen kritischen Wert erreichen. Oft werden die Kartoffeln dann auch grün. "Wenn die Kartoffel grün ist, ist das ein Zeichen, dass sie im Licht war. Diese grünen Kartoffeln haben in ihrer Schale besonders hohe Alkaloidwerte", so der Molekularbiologe Michael Wink von der Universität Heidelberg. Mitunter reichen aber schon ein paar Stunden im Licht aus, um die Alkaloidbildung zu starten

Erwachsene müssen zwar viele Kartoffeln essen, um sich zu vergiften. Anders sieht es aber bei Kleinkindern aus. Da sich das Vergiftungsrisiko nach dem Körpergewicht berechnet, reicht schon eine kleine Portion ungeschälter Kartoffeln, um Vergiftungserscheinungen wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall hervorzurufen.

Plusminus hat durch Stichproben prüfen lassen, ob wirklich giftige Kartoffeln im Handel sind. Zehn Kartoffeleinkäufe vom Markt, aus dem Gemüsehandel und aus Supermärkten wurden von anerkannten Lebensmittelexperten auf ihren Alkaloidgehalt in der Kartoffelschale untersucht. Das Ergebnis ist erschreckend! Die Hälfte der Proben war so stark belastet, dass es bei einem Kleinkind möglicherweise zu Vergiftungserscheinungen gekommen wäre, hätte es eine Portion Kartoffeln mit Schale gegessen. Eine Probe war sogar so stark belastet, dass ein Kleinkind sich hätte ernsthaft vergiften können. Alle belasteten Proben wurden im Licht angeboten.

Alkaloide sind Bitterstoffe und so belastete Kartoffeln schmecken deshalb bitter. Und ganz wichtig ist, Kartoffeln nie mit Schale zu essen. Das klassische Verfahren ist die Kartoffel zu schälen und sie als Salzkartoffel in Wasser zu kochen und das Kochwasser unbedingt wegzuschütten. Und wenn man das anwendet, ist die Kartoffel ein sicheres und gesundes Nahrungsmittel.

Quelle: www.daserste.de/plusminus/beitrag

 

Kommentar

Kartoffeln werden nicht immer zu Recht als gesundes Nahrungsmittel gesehen. Was dem Fernsehbericht nicht eindeutig entnommen werden kann, ist der Hinweis beim Schälen nicht nur grossräumig alle grünen Teile der Knollen aber ebenso alle Keime (Augen) zu entfernen. Da bei Lagerware die Alkaloide immer weiter ins Innere wandern, ist grosszügiges Schälen angesagt. Geschälte Kartoffeln sollten auch nicht längere Zeit in Wasser aufbewahrt werden, weil durch jede Verletzung, so auch beim Schälen die Solaninbildung angeregt wird. Dem kann entnommen werden, dass die Beleuchtung im Supermarkt oder die lichtdurchlässige Plastikfolie der Verpackung nicht alleinige Bösewichter in Sachen Alkaloidbildung sind. Mit gesteigerter Solaninbildung reagiert die Pflanze auch als Abwehr gegen Frassfeinde, wie Kartoffelkäfer, Braunfäule etc. In solchen Fällen existiert trotz drei- bis fünffach höheren Alkaloidgehalts keinerlei verräterische Grünfärbung.

Wegen der Schädlinge wurden Kartoffelsorten gezüchtet die besonders widerstandsfähig sind, die nun aber zwangsläufig einen höheren Solaningehalt haben. Schädlinge werden üblicherweise mit chemischen Mitteln bekämpft. Bleibt die Kartoffelpflanze unbehandelt und wird von Schädlingen befallen, steigt zur Abwehr der Solaningehalt an. Deshalb kann der Alkaloidanteil gerade bei ungespritzten Bio-Kartoffeln besonders hoch sein. Die abschliessende Empfehlung der Sendung, dass Salzkartoffeln nach Abgiessen des Kochwassers unbedenklich sind, ist richtig. Der Tipp trifft jedoch nicht auf Pellkartoffeln zu. Durch Abgiessen des Kochwassers lässt sich hier der Alkaloidgehalt nur geringfügig vermindern, das Gift bleibt in und unmittelbar unter der Schale und den Keimansätzen.

Das dürfte auch bei einem neueren Kartoffelprodukt, den Kartoffel Wedges der Fall sein. Dieses Produkt wird wegen der Verarbeitung der ganzen Knolle, inklusive ihrer Schale und Augen als „besonders vollwertig“ angepriesen: „Herzhafte Kartoffeln in Schiffchenform pikant abgeschmeckt mit Chili, Pfeffer und Paprika.“ Amerika, die Heimat der Kartoffel lässt grüssen! Nur, warum wurde in der Sendung auf das grössere Risiko durch diese Erzeugnisse nicht hingewiesen? Sendet DAS ERSTE einen Werbespot über die Spezialität?

Wie viel Alkaloid verträgt der Mensch? Als tödliche Dosis werden drei Milligramm pro Kilo Körpergewicht angenommen. Das bedeutet 180 Milligramm bei einem 60Kg schweren Menschen. Der Grenzwert wurde bereits 1924 auf 20 Milligramm pro 100 Gramm Frischgewicht festgelegt. Dieser Wert ist problematisch, denn ein 40 Kilo schweres Kind könnte sich durch den Verzehr von knapp 300 Gramm Pommes vergiften, während es 400 Gramm womöglich nicht überlebt würde. Die Experten der WHO sehen deshalb einen Gehalt von 10 Milligramm als unbedenklich an und andere Wissenschaftler fordern eine Höchstgrenze von 6 – 7 Milligramm. Es ist dem Fernsehbeitrag zwar nicht zu entnehmen mit welchen Höchstwerten hier ausgegangen wurde aber wahrscheinlich dürften das die 20mg pro 100 g Frischgewicht sein.

Als die Kartoffel in Deutschland kam, erfuhr die neue Ackerfrucht zunächst Ablehnung. Das obwohl durch Getreidemissernten gehungert wurde. Als Friedrich der Grosse etwa 1750 der hungernden Bevölkerung von Kolberg Wagenladungen Kartoffeln sandte, wurde seine Hilfe von den Notleidenden nicht angenommen. Die Angst vor Vergiftungen war, da man wenig über sichere Zubereitung wusste, offenbar zu gross. Für beängstigende Beispiele sorgte u.a. die Kasernenverpflegung preussischer Soldaten, unter der es immer wieder zu Vergiftungen, bis hin zu Todesfällen durch Kartoffeln kam.

Derartige Gruppenerkrankungen gibt es auch in der Neuzeit. So zogen sich zu Beginn der fünfziger Jahre in Nordkorea 400 Menschen eine Solaninvergiftung zu, von denen 22 Personen verstarben. In den siebziger Jahren waren es 78 Jugendliche in London, die in Krankenhäuser eingewiesen werden mussten und eine ähnliche Gruppenintoxikation von Schulkindern ereignete sich 2001 in Japan. Angesichts dieser Ereignisse erstaunt, dass weltweit bisher nur etwa 2000 Vergiftungsfälle mit 30 Toten registriert wurden. Die Dunkelziffer dürfte sehr viel grösser sein, da die Beschwerden üblicherweise einer Magen- Darmverstimmung entsprechen und dass wahrscheinlich auch bei schweren Vergiftungen nicht an die Möglichkeit einer Kartoffelvergiftung gedacht wird.

Da Kartoffeln allgemein völlige Unbedenklichkeit zugeschrieben werden, ist hier die mögliche Symptomatik aufgelistet. An Symptomen können auftreten: Kopfschmerz, Leibschmerzen, Erbrechen, Durchfall, Abgeschlagenheit und Benommenheit, komatöse Zustände und z.T. auch Pulsbeschleunigung, Sehstörungen, Zyanose und sogar Temperatursteigerungen.

Vielleicht leidet der eine oder andere unserer Patienten mit Rückenbeschwerden nicht unter einer Milcheiweiss-, Laktoseintoleranz oder sonstiger Lebensmittelunverträglichkeit, sondern als begeisterter Kartoffelesser unter latenter Solaninvergiftung. Ja, und da war noch der Patient mit rätselhaften Ohnmachtsanfällen, für die trotz eingehendster Untersuchungen sich keine Begründung finden liess. Es stellte sich heraus, dass die Anfälle jeweils nach dem Verzehr von ungeschälten Bratkartoffeln, die auch noch Braunfäule aufwiesen, auftraten.

 

Autor: Klaus Radloff

Quelle: EU.L.E.n-Spiegel 2/2006