Reinhard Bayerlein

Sexualität und APM Radloff

Eine Auseinandersetzung mit der Thematik im Rahmen der chinesischen und westlichen Medizin

Sexualität ist eine der stärksten Energien im Leben des Menschen. Ein wichtiger Grund, sie auch im Bezug zur APM zu thematisieren.

Geschichtliche Hintergründe

In der Zeit früheren Dynastien, etwa ab 1500 v Chr. (Shang-Dynastie) bis wahrscheinlich zur Mongolischen Periode (ab 1279) wurde Sexualität in China weitgehend offen, frei und normal gelebt. In diesen 2000 Jahren wurden auch viele daoistischen Schriften und die Literatur zum Thema verfasst. Wahrscheinlich entstand die heute in China verbreitete Prüderie dann endgültig in der Zeit, als 1644 die Manschu China eroberten.

Die Kulturrevolution verstärkte die Unterdrückung der Sexualität weiter. So wurden Bibliotheken angewiesen alle «Künste der Bettkammer» zu entfernen. Also eigentlich kein Wunder, dass die «Traditionelle Chinesische Medizin» hier ebenfalls keinen besonderen Beitrag zum Thema leisten kann. Glücklicherweise wurden, wie dies auch mit anderen Schriften geschah, Bruchstücke dieses Kulturguts dadurch gerettet, dass es in andere Länder gebracht wurde und dort «überlebte». Hier war es unteranderen Japan, wo der Arzt Tamba Yasuyori 982 begann, ein Kompendium dieser Sexualhandbücher zu schreiben. Trotzdem wurden die ältesten heute bekannten Bücher (aus der frühen Han-Zeit stammend, ab 206 v. Chr.) 1973 in dem berühmten Grab in Ma Wang Dui (Provinz Hunan) gefunden.

So entdeckte man dort philosophische Werke wie das Yijing, Daodejing, Bücher zur Astronomie und Medizintexte mit verschiedenen thematischen Abhandlungen - auch zur
Sexualität. In manchen Dynastien hatten Selbstbefriedigung (weniger bei Männern, da der Same als wichtige Essenz angesehen wurde), Homosexualität und auch Prostitution
einen festen und anerkannten Platz in der chinesischen Gesellschaft. Zu dieser Zeit wurde Sexualität als «Diktat» der Natur und damit als heilige Pflicht von Frauen und Mann angesehen. So war sie dadurch niemals mit Schuldgefühlen oder dem Sündenbegriff belastet . Sexualität wurde als die Manifestierung von YIN und YANG und damit als Naturgesetz und Grundlage des menschlichen und universellen Lebens gedeutet1.

Sexualität hatte im antiken China zwei wichtige Zwecke.
1. Es ging um Gesundheit und Langlebigkeit
2. Und es ging um die Fortsetzung der Ahnenreihe2

APM und die Behandlung sexueller Störungen

Obwohl die Durchsicht der Syndromlehre zeigt, dass in der TCM die Leitbahnen von Leber, Niere und Milz zum Thema Sexualität und Fortpflanzung präferiert werden, bleiben wir in der APM-Radloff dabei, dass wir alle Wandlungsphasen in unsere Betrachtungen einbeziehen und unsere Behandlung nicht von Punktrezepten abhängig machen. Es versteht sich, dass die Fragen an den Kranken zur Sexualität nur durchgeführt werden, wenn ein stabiles Vertrauensverhältnis zum Klienten aufgebaut ist. Die Schlüsselfrage wäre, wie sich der Klient eine erfüllte Sexualität vorstellen würde. Die Antwort(en) sollten den Phasen zugeordnet werden, falls dies möglich ist. Ich ordne die sexual-emotionalen Bezüge und Eigenschaften zu den Wandlungsphasen wie folgt zu.3

HOLZ: Erregung

Der Penis gilt als Treffpunkt der 100 Sehnen und wird auch «Sehne der Ahnen» genannt.

«Die Leber ist der Treffpunkt der Sehnen. Seine Sehnen sammeln sich bei den Yin Organen (Penis und Scrotum) und ihr Gefäß vernetzt sich an der Zungenwurzel»4

Wir können davon ausgehen, dass dies auch für die Klitoris gilt. Dass die Leber den QI und XUE-Fluss steuert, untermauert ihre Berechtigung bei der Behandlung von sexuellen Störungen und Störungen der hormonellen Tätigkeit (Pubertät, Klimakterium etc.). Ist der freie Fluss von QI und XUE blockiert (unerfüllteWünsche, Sehnsüchte, Wut etc.) dann kann diese Verteilungsstörung eine Ursache für Libidomangel sein.

Westliche Physiologie: Abbau von Östrogen/Testosteron um hormonelles Gleichgewicht herzustellen. Bildung von Cholesterol als Ausgangsbasis für Sexualhormone. Schnelle Bereitstellung von Blut.

FEUER: Spass

Herz und PC-Leitbahn haben viel mit der arteriellen Durchblutung der feinen Gefäße, auch im Genitalbereich zu tun. Ich weise in den Seminaren immer wieder daraufhin, dass «früher» der PC (Pericard/Herzbeutelmeridian) nicht umsonst als Kreislauf-Sexus bezeichnet wurde.

«Tian-Gui» ist die Bezeichnung für das Ejakulat und wird zusammen aus Herzfeuer und Nieren-Yin-Qi hergestellt. So hat die arterielle Durchblutung (Erektion, Prostata, Ovarien, Gebärmutter, etc.) entscheidend mit der Durchblutung im Urogenitalbereich zu tun. Die Feuer-Wasser-Achse (Shao-Yin / Shao Yang) wirkt sich demnach auch auf unsere Sexualität und deren Qualität aus.

Dass das Feuer mit Emotionen zusammenhängt, ist bekannt. Versagensängste, Liebeskummer, Melancholie oder nicht verarbeitete Kränkungen gehören hierher. Lust und Spass sollte eigentlich ein wesentlicher Faktor bei einer erfüllten Sexualität sein.

Westliche Physiologie: Neben der schon beschriebenen arteriellen Blutversorgung, werden im nervalen System des Herzens verschiedene Neurotransmitter und Hormone ausgeschüttet. Noradrenalin, Dopamin und Oxytocin sind die wichtigsten dieser Hormone, wobei Oxytocin vor allem deshalb interessant ist, weil es als das «Liebes-Hormon» gilt, das maßgeblich die soziale Bindung beeinflusst.

ERDE: Hingabe, Verbundenheit, Genuss

«Die Milz verteilt kontrolliert Verteilung und Transport von Wasser- und Samenessenz.»5

Die Erde ist die Quelle für das nachgeburtliche QI und XUE. Dieser Mangel kann die Ursache für erektile Dysfunktion aber auch für pathologische Feuchtigkeit im vaginalen Bereich, möglicherweise auch der Samenflüssigkeit, sein. Auch das «Halten» (Bg) das der Erde zugeordnet ist, kann sich bei Pathologien direkt oder indirekt auf die Funktion der Geschlechtsorgane auswirken (Senkungen).

Dass länger andauernde Sorge, besonders privater, beruflicher und finanzieller Art sich negativ sowohl auf Libido und Empfängnis auswirken können, ist bekannt. Fehlende innere
Verbundenheit mit dem Partner oder Störungen in der Genussfähigkeit (s. zum Beispiel GB-Erde) können ihr übriges tun.

Westliche Physiologie: Besonders das Glucagon führt dazu, dass dem Körper sofort Zucker (Energie) über seine Wirkung auf die Leber, zur Verfügung gestellt wird. Auch in Ma/ Pa ist Oxytocin gespeichert. «Liebe geht auch durch den Magen». Für die Angabe der CM, dass die MP für den Transport der Samenessenz zuständig ist, habe ich noch keine westliche Entsprechung gefunden.

METALL: Fallenlassen

Die Lunge kommt bei der Therapie von sexuellen Störungen in der TCM praktisch nicht vor. Nun soll an dieser Stelle auch kein Zusammenhang konstruiert werden, wo möglicherweise kaum keiner ist. Trotzdem sollten wir hier an die Sauerstoffversorgung des Blutes denken und dass die Lunge die energetische Vorgängerin der Niere ist, die ja einen wichtigen Stellenwert im Rahmen der Sexualität hat. Es sei drauf verwiesen, dass die PO-Seele der Sitz der Instinkte und Triebe ist und sich darüber ebenfalls Beziehungen zur Sexualität ergeben. Vielleicht ist es so, dass das Metall mehr mit psychischen Themen wie «Loslassen», «Fallenlassen» können (alter Beziehungen, Kummer usw.) zu tun hat, wodurch es möglich ist, Sexualität wieder ungestört oder ungestraft genießen zu können. Auch möchte ich darauf hinwiesen, dass in unserem Kulturkreis Schuld und Sünde, Themen, die zum Metall-Element gehören, viel tiefer verwurzelt sind. Loslassen zu können, kann hier also ein Segen sein. Punkte wie Lu 3 -Tian Fu und andere, die Bezug zu Selbstwert und dem Vaterbild haben, können nicht nur bei Männern Störungen im sexuellen Bereich unterhalten.6

Westliche Physiologie: In der Lunge wird auch Serotonin ausgeschüttet, das als Glückshormon gilt und negative Emotionen (Kummer, Trauer) wenigstens kurzfristig unterdrückt.
Möglicherweise hilft auch diese physiologische Wirkung beim «Fallenlassen». Gerade die Erhöhung der Atemfrequenzbeim Geschlechtsakt, könnte zur Erhöhung dieses Hormons
führen. Sicher ist die Sauerstofferhöhung aber einer der größten Effekte, der Bezug zur Physiologie hat.

Es gibt aber noch einen weiteren Punkt, auf den beim Thema Infertilität eingegangen wird.

WASSER: Orgasmus

Dass die Niere aufgrund ihrer Beziehung zum Jing eine der wichtigsten Leitbahnen in Bezug zur Andrologie haben, dürfte kaum überraschen. Besonders der Bezug zu den NNR, die ja hormonell sehr wichtig sind, ist selbsterklärend. Auch in der APM zeigen sich Störungen im Urogenitalbereich oft mit dem Wasser vergesellschaftet.

Emotionell kommen Ängste und Mangel an Vertrauen in sich und das Leben («Wie kann man in diese Welt Kinder setzen?») als Störungen infrage. Auf der anderen Seite ist das Vertrauen in den Partner und das Leben eine wichtige Voraussetzung für eine befriedigende Sexualität.

Westliche Physiologie: Hier erfolgt die eigentliche Herstellung der Sexualhormone.

Aussergewöhnliche Gefässe (AG)

Auch die 8 AG haben viel mit dem Thema Sexualität zu tun. Sind die Störungen nicht mit der Therapie der Ebene 1 oder 2 zu beeinflussen, denken wir an die 8 AG.

Statistisch (Auswertung der TCM) zeigen sich besonders oft Ren Mai, Du Mai und Chong Mai. Also allesamt AG´s die bei Qi-Mangel eingesetzt werden7.Weshalb Dai Mai, der gerade ja im Beckenbereich Umschaltungen bewirkt und klassisch Symptome im Urogenitalbereich überliefert sind, nicht aufgeführt ist entzieht sich meiner Kenntnis. Allerdings beziehen sich diese Auswertung auf die TCM. Wir sollten davon ausgehen, dass auch die anderen Gefäße der 8 AG ebenso wichtig sein können. Wir gehen in der APM ja immer davon aus, dass physiologische Störungen sowohl aufgrund von Leeren als auch von Füllen entstehen können.

Wirbelsäule

Vergessen wir bitte nicht die mechanischen Blockaden der Gelenke, ISG und Wirbelgelenke (L3 innerviert z.B. den Uterus etc.), die über ihre Mechanik Störungen im Bereich der Durchblutung und nervalen Versorgung im Beckenberiech erzeugen können.

Fertilitätsstörungen

Störungen der Fertilität behandle ich schon seit Jahrzehnten in der Praxis oft erfolgreich mit der APM. Hier einige der häufig auftretenden Gründe die ich beobachten konnte.

1. HOLZ

Die Holz-Phase tritt hier auf, wenn es sich um hormonelle und Stoffwechselstörungen (Fettleber, Adipositas) handelt. «Gleichgewichtstörungen» zwischen Abbau von Östrogen und Testosteron, usw.

2. FEUER

Feuer-Phase. Sie zeigt sich, wenn Schilddrüsenstörungen (Jodverwertungsstörung) im Hintergrund stehen. Und das ist ein nicht selten auftretendes Phänomen. Die Schilddrüse
steuert natürlich sehr viele Stoffwechselvorgänge und besonders, wenn sich in der Familienanamnese Schilddrüsenerkrankungen zeigen (Genogramm!), sollte man wach werden. Zink, der besonders für die Spermienproduktion wichtig ist, wird vorwiegend im Dünndarm resorbiert.8

3. ERDE

Die Erd-Phase zeigt sich dann, wenn die Gebärmutter den Fötus nicht «halten» kann (früher/später Abort). Bindegewebsstörungen und wahrscheinlich Stoffwechselstörungen (die
Magen-Leitbahn versorgt ebenfalls die Schilddrüse), die aus der Erde induziert sind (Schwankungen von Zucker/Insulin) gehören hierher.

4. METALL

Das Metall, so dachte ich früher, zeigt sich eher dann, wenn andere Phasen zu viel Energie haben. Es dient dann quasi als Auffangbecken oder aber Reservoir, eine Beobachtung, die ich immer wieder gemacht habe. Trotzdem war für mich allein die energetische Erklärung, ohne wissenschaftliche Sichtweise unbefriedigend. Bis sich vor einigen Jahren in einem Fachartikel9 die Erklärung gefunden habe. Es gibt eine sogenannte Sperma-Allergie. Hierbei reagiert die Immunabwehr der Frau gegen das im Seminalplasma enthaltene PSA. PSA enthält Eiweiß, gegen das in der Zervikalschleimhaut Antikörper gebildet werden.

Hier bestehet dann eine immunologische Störung, die aus dem Metall heraus besteht.10 Symptome sind Jucken, Rötung, Schwellung und sogar schwere allergische Reaktionen nach dem Koitus. Es handelt sich hier um eine Beobachtung, die nach meiner Erfahrung seit etwa 20 Jahren zunimmt. Neben den biochemischen Vorgängen sollten wir hier aber auch unbedingt die Psychosomatik beachten.

5. WASSER

Das Wasser zeigt sich, wenn hormonelle Störungen (ovariale Insuff., Zysten, Endometriose, Spermiendegeneration etc.) bestehen. Es soll an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt
werden, da die Arbeit an der Wasser-Phase sich auch hier von selbst versteht.

Resümee

Sexualität und die damit verbundenen Themen wie Kinderwunsch usw. können mit dem Radloff Konzept sehr gut behandelt und betreut werden. Natürlich erfordert die Befunderhebung und Therapie das Wissen über die Wandlungsphasen und im Optimalfall die Konstitutionstherapie. Die APM-Radloff stellt hierfür eine Methodik bereit, die es uns ermöglicht auf verschiedenen Ebenen (Körper und Psyche) zu arbeiten und Kausalitäten aufzuspüren, die in vielen Fällen den Schlüssel zum Erfolg darstellen können.


1Auch bei anderen antiken Kulturen wie den Griechen, Juden oder Römern, wurde Sexualität interessanterweise in ähnlicher Art und Weise gelebt.

2O. Krammer-Pojer / Geheimnisse aus der Jadekammer / Müller Steinicke 2017. Hier findet sich auch eine umfangreiche Bibliographie zum Thema

3Eine Zusammenfassung von Beobachtungen der letzten 30 Jahre Therapie und der klassischen Literatur. Unsere Beobachtungen stehen hier aber erst ganz am Anfang.

4Unschuld/Antike Klassiker der CM, Ling Shu/Zhen Jing 2015

5Unschuld / Antike Klassiker der chinesischen Medizin Huangdi Nei Jing, Su Wen und Nan Jing 2013

 

 

 


6R. Bayerlein / Punktbedeutung auf den 3 energetischen Ebenen

7Siehe hierzu die energetische Zuordnung der 8 AG. Bayerlein /Die Energetik der 8 AG / 2003 TCM-Shop

8Hier kann es sein, dass zeitweise (!) substituiert werden muss (Mineralien, Vit. Usw.)

9Leider kann ich hierzu keine Quelleangabe mehr machen. Siehe hierzu aktuelle wissenschaftliche Veröffentlichungen sowie Beiträge im Internet.

10Der Gynäkologe führt bei Verdacht einen so genannten Postkoitaltest durch